RELIEFINTARSIEN AUS EGER
DER GROSSE GARTEN
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Schatulle liegend mit geöffnetem Deckel

Wir restaurierten die Schatulle 1995
Adam Eck (zugeschrieben)
Oktogonale Schatulle
Um 1650
Maße: H 38 x B 46 x T 46 cm
Privatbesitz

Unter den erhaltenen Kleinmöbeln aus der Hand Egerer Kunsttischler muß einer oktogonale Schatulle durch ihre originelle Form, vor allem aber durch ihr Innenleben, ein besonderer Stellenwert zugesprochen werden. Auf einem von gedrechselten Füßen getragenem Sockel mit quadratischem Grundriß erhebt sich ein gedrungener achteckiger Kasten mit nach oben verjüngendem gestuften Deckel. Der große Sockelschubkasten ist durch die gleichartig gestalteten vier Außenflächen des Sockels auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Zwölf Reliefintarsienbilder unterschiedlicher Größen schmücken die Schatulle aus. Auf der Außenseite des von zwei gravierten Messingscharnieren gehaltenen Deckels befindet sich die qualitätsvollste Reliefintarsia des Möbels, eine Darstellung der Diskretio. Das achteckig beschnittene Bild zeigt eine abwägende Frauengestalt in reichem gebauschten Gewand. Vor ihr auf dem Boden stehen ein Faß und weitere im Fassungsvermögen abgestufte Maßbehälter, im Hintergrund ist unter stark bewölktem Himmel die Silhouette einer Stadt zu erkennen. Der Egerer Künstler hat die Darstellung einem Planetenbild Adrian Collaertes entnommen, das dieser nach Intentionen des Antwerpener Malers Marten de Vos stach. Die Graphik diente auch als Vorlage für das ganz ähnliche Reliefintarsienbild “Mars und Diskretio” der Kunstsammlungen auf Schloß Königswart. Obwohl die beiden Reliefs unterschiedliche Formate aufweisen, sind sie doch sehr gut vergleichbar und aus ein und dem selben Werkstattzusammenhang hervorgegangen. Ihr Stil ist eindeutig der des Egerer Hauptmeisters Adam Eck.

Die übrigen vier Allegorien der Schatulle zeigen Veritas (vorn), Sapientia (links), Patientia (hinten) und Temperantia (rechts). Jedem Bild ist eine Schriftkartusche am Sockel zugeteilt.

Es fällt auf, daß man drei der Tugenden jeweils in einem von Säulen und Draperien begrenzten Innenraum platziert hat, dessen Rückwand mit reicher Gravierung wie mit einer kostbaren Ledertapete bespannt erscheint. Patientia, die personifizierte Geduld, sitzt hingegen im Freien unter einem Baum. In der erhobenen Linken schwingt sie einen Hammer, mit der rechten Hand umfasst sie einen Ambos mit daraufliegendem Herz. Der schlagende Hammer als symbolisches Leidenswerkzeug dürfte für den Seelenschmerz stehen, der von Patientia mit unendlicher Geduld ertragen werden kann. Temperantia, die Mäßigung, ist durch Kanne und Pokal zum Mischen von Wein und Wasser attributiert. Sapientia, die Weisheit, trägt einen Spiegel als Zeichen der Selbsterkenntnis und die obligatorische Schlange am linken Arm. Veritas schließlich, die Wahrheit, wird durch eine sitzende, die Arme erhobene Frau symbolisiert, um deren Haupt Flammen züngeln. Die unter den Allegorien am Sockel zugeordneten filigranen Inschriften wurden nicht mit Tusche oder Farbe geschrieben, sondern aus winzigen Holzspänen in den Fond eingelegt.

Die übrigen vier Reliefintarsien des Kastens stellen üppige Blumensträuße in Henkelvasen dar. Diese im 17. Jahrhundert nicht nur von den Egerer Bilderschneidern sondern europaweit von Kunsthandwerkern jeglichen Genres gern genutzten Stilleben haben ihre Grundlage in zahllosen graphischen Einzelblättern, aber auch in Blattfolgen und Büchern botanischen Inhalts, wie etwa dem weitverbreiteten 1633 in London erschienenen Werk “The Herball or generall historie of plantes” von John Gerarde mit Illustrationen von John Payn. In den wenigsten Fällen kann aber die Übernahme einer speziellen Vorlage nachgewiesen werden, denn das Motiv des Blumenstrauses bot sich für eigenständige Variierungen durch den Intarsiator geradezu an. Optisch getrennt werden die Allegorien und die Blumenvasen durch Dreiviertelsäulen mit schwarzem Schaft und vergoldeten Basen bzw. Kapitellen.

Öffnet man die Schatulle, so fällt der Blick auf die kopfstehende Darstellung einer stilisierten Gartenanlage, deren Zentrum von einem Zierbrunnen mit der Fama als Brunnenskulptur gebildet wird. Der auf der Innenseite des Deckels eingelassene Spiegel transponiert das Reliefintarsienbild in die richtige Position. Auch die Innenflächen des achteckigen Raumes sind mit Spiegelgläsern bestückt, womit eine illusionistische Erweiterung des Phantasiegartens angestrebt wird. Durch jene Spiegel werden zwei kleine Reliefintarsien sichtbar, die sich dem frontal vor der Schatulle stehenden Betrachter verbergen. Dargestellt sind Jäger mit Hunden, einer der Weidmänner stößt in sein Horn. Auch hier wird man wohl wie bei den Blumensträußen keine direkte graphische Vorlage finden, sondern eher von einer zitatenhaften Übername aus verschiedenen Jagdgraphiken ausgehen müssen. Der Famabrunnen erinnert hingegen stark an die letzte der vielen für den Frankfurter Verleger und Buchdrucker Siegmund Feyerabend von Jost Amman entworfenen Marken, die um 1590 in Gebrauch kam.

Die geometrische Anlage mit seinem wasserspendenden Zentrum folgt den tatsächlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in großer Anzahl entstandenen Bürger- oder Adelsgärten, von deren Aussehen uns die “Architectura recreationis” des Ulmer Stadtbaumeisters Joseph Furttenbach d. Ä. (1591-1667) ein recht zuverlässiges Bild zu vermitteln vermag. Furttenbachs Kupferstichwerk darf als fundamental für die Entwicklung des deutschen Barockgartens gelten. Daß im Falle der Schatulle ein Adelsgarten gemeint ist, geht aus den Jägerfiguren hervor. Anders als beim bürgerlichen Lustgarten schloß sich hier bisweilen ein “Thiergarten” an, in welchem “...dann nach deß Herzen belieben eine gute anzahl Gewild zur Recreation mögen gelassen/ bisweilen aber auch ein Jagen daselbsten angestellt werden”, wie Furttenbach vermerkte.

Interessanterweise ist der imaginäre Schatullengarten nicht nur mit Bäumchen, sondern auch mit stilisierten Tulpen bepflanzt, womit ein Schlaglicht auf die Beliebtheit dieser aus dem Orient nach Europa gekommenen Blumengattung geworfen wird.

Die Schatulle versteht sich als ein reines Kunstkammerobjekt, denn hineinlegen läßt sich ohne Beeinträchtigung der gewollten Wirkung wohl nichts. Geistig und stilistisch steht sie dem prachtvollen Kabinettschrank des GRASSI Museums für Angewandte Kunst Leipzig aus ehemaligem Besitz der Freiherren von Erffa sehr nahe. Auch dieses Möbel eignet sich nicht im landläufigen Sinne zur Aufbewahrung, sondern war zur Inszenierung von Kostbarkeiten gedacht.LTERATUR
Jochen Voigt: Für die Kunstkammern Europas - Reliefintarsien aus Eger, Halle 1999, S. 185-190.

LITERATUR
Jochen Voigt: Für die Kunstkammern Europas - Reliefintarsien aus Eger, Halle 1999, S. 241-244.

ALL COPYRIGHTS
Jochen Voigt (Text) und May Voigt (Fotos) 1998