RELIEFINTARSIEN AUS EGER
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DAS DARMSTÄDTER BRETTSPIEL
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Spielbrett im aufgeklappten zustand
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Wir restaurierten das Brettspiel 1994 | ![]() |
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Johann Karl Haberstumpf (zugeschrieben)
1686 Maße: H 12 x B 47 x T 47 cm Darmstadt, Hessisches Landesmuseum Inv.Nr.: Kg 58:14 Die Schauseite des Egerer Spiels im Hessischen Landesmuseum Darmstadt glorifiziert ein strategisches Genie in Form eines lorbeerbekränzten Feldherren in römischer Tracht auf steigendem Pferd. Mit der rechten Hand ergreift er die Zügel, mit der linken einen Kommandostab. Pferd, Reiter und Bildvordergrund sind als Reliefintarsien, der Hintergrund mit Darstellung einer am Wasser errichteten Stadt und darüberliegendem stark bewölkten Himmel indessen als normale flächige Marketerien ausgeführt. Von kräftigen Flammleisten wird die im ebonisierten Rahmen der Brettspielkassette sitzende Füllung umschlossen. Das aus verschiedenfarbigen Hölzern zusammengesetzte Frontbild besticht durch Qualität, obgleich es in der Feinheit seiner Gravuren nicht ganz an die Meisterwerke Adam Ecks oder Johann Georg Fischers heranreicht. Schweif und Mähne des Pferdes sowie das Haar des Feldherren sind durch geschicktes wechselseitiges Aneinanderreihen von halbrunden Kerben, das Fell des Roßes in dichter Strichelung strukturiert. Am oberen Spielfeldrand überrascht der Damespielplan mit einer winzigen eingelegten Datierung. Bei Zuhilfenahme eines Mikroskops wird deutlich erkennbar, daß man die Ziffern nicht aufgemalt sondern aus winzigen Holzspänchen in das Furnier eingelegt hat. Die Ziffernfolge „1686“ dürfte sich sich auf das Jahr der Herstellung beziehen. Die dunklen Spielfelder sind mit intarsierten Blumen gefüllt, die sich auf einem kreisrunden, durch Punzierung aufgerauhten, Fond zentrieren. Originell wirkt die Gestaltung der hellen Spielfelder mit kleinen Burgen, Kirchen und Häusern. Es fällt durchaus auf, daß einige Architekturen als Ruinen erscheinen. Bei manchen Feldern hat man ganz auf die Gebäude verzichtet und lediglich Landschaften mit Bergen und Bäumen stilisiert. Ein einziges Quadrat schildert winzig und kaum wahrnehmbar die Bestellung der lebensnotwendigen Äcker. Über allen Veduten wölbt sich halbkreisförmig der Himmel. Klappt man den Spielkasten auf, kommt das prächtig intarsierte Trictrac zum Vorschein. Noch filigraner gestaltet als Schauseite und Damespielplan bietet sich dem Betrachter eine kleinteilige Szenerie aus 24 phantasievoll gestalteten Keilfeldern und zwei schmalen Bildstreifen mit Schlachtenschilderungen zu Land und zu Wasser. Grundsätzlich lassen sich zwei Keilfeldtypen auseinanderhalten: Ein kleiner perspektivisch ausgeführter Obelisk auf quadratischem gestuftem Sockel trägt eine Wappenkartusche, hinter die vier Fahnen gesteckt sind. Jedes Wappenoval zeigt das Motiv der gekreuzten Schwerter. Lediglich in den ameisengroßen Soldaten am Sockel und auf der Spitze unterscheiden sich die zwölf Obelisken. Während es im Sockelbereich nur Fußsoldaten sind, kommen am Obeliskenende auch Fanfaren blasende und Pauken schlagende Reiter hinzu. Die zweite Keilfeldform besteht aus einem fischschwanzförmigen spiraligen Körper, der rebstockumrankt aus einer Krone herauswächst. Die Krone wiederum wird von zwei schildhaltenden Löwen gestützt, die in ihren Pranken sich kreuzende Schwerter tragen. Beide Spielbretthälften unterscheiden sich in der Thematik ihrer detailreich gearbeiteten Mittelfriese. Die linke Seite schildert die Belagerung einer Stadt, auf deren Zugangsbrücke bereits Angreifer und Verteidiger zusammengeraten sind. Aus einem links platzierten Zeltlager werden detonierende Granaten in die Schanzenstellungen der Belagerten geschossen, die mit entsprechendem Gegenfeuer antworten und sich offenbar zu einem Ausfall formieren. Die unbekümmert aus dem Bildstreifen in den Spielplan hineinragende Turmspitze der Burg trägt ein deutlich erkennbares Kreuz. Mit einiger Mühe hat der Künstler die kaum einen Zentimeter großen Figuren aus verschiedenen (!) Holzteilchen zusammengesetzt, wobei er sich optischer Hilfsmittel bedient haben dürfte. Wer gegen wen ins Feld zieht, wird auf der rechten Trictrac-Hälfte deutlich gemacht. Halbmondgeschmückte Schiffe einer türkischen Armada kreuzen vor einer inselartigen Stadt, deren höchster Turm wiederum das Kreuz als Zeichen der Christenheit zeigt. Auch diesem Bildfries ist die Fabulierlust des Intarsiators anzumerken, der selbst den obligatorischen Burggarten (aus grüngefärbten Hölzern !) unterhalb des Burgberges nicht vergessen hat. Der Meister des Darmstädter Spiels hat beide Bildfriese noch einmal an einem prachtvollen Spielbrett aus ehemaligem Besitz der Familie von Nostiz verwendet. In den Rahmen des Trictracs hat man Löcher gebohrt und diese zur Spielstandsanzeige mit Nummern versehen. Die allgegenwärtige Türkengefahr des 17. Jahrhunderts schlägt sich deutlich auf den Schlachtenbildern des Darmstädter Trictracplans und in der Gestaltung der zugehörigen Spielsteine nieder. Zwölf erhaltene Originalsteine verweisen auf den Kampf zwischen Muslimen und Christen. Auf beiden Seiten der gedrechselten Scheiben sind mehr oder weniger charakterhafte Porträts von turbantragenden osmanischen Streitern (dunkle Steine) und ihren europäischen Gegnern (helle Steine) in Reliefintarsientechnik ausgeführt. Inwieweit die Schlachtendarstellungen des Darmstädter Trictracs konkrete Ereignisse meinen, etwa die Entsatzschlacht um Wien 1683 und die verhängnisvolle Erstürmung der venezianischen Inselfestung Kreta durch eine osmanische Flotte 1669, beides Ereignisse von weltpolitischer Bedeutung, bleibt ungewiß, da die Bilder sehr summarisch ausgeführt worden sind. Wahrscheinlicher ist eine allgemeine Schilderung der türkischen Gefahr. 1686 konnte Kaiser Leopold I., der „Türkenbezwinger“, einen der bedeutendsten militärischen Erfolge gegen das osmanische Reich verbuchen: Im Juni hatten die vereinigten christlichen Armeen mit etwa 74000 Soldaten die Festung Ofen (ung. Buda) und die darin eingeschlossene Besatzung Abdurraham Paschas umzingelt. Die „Schlüsselfestung“ Ofen, wie sie Sultan Mehmed IV. einstmals genannt hat, war bereits 1526 durch die Türken erobert worden und befand sich seit jener Zeit fest in osmanischer Hand. Zu den wichtigsten Zielen des Kaisers zählte daher die Wiedererlangung der Stadt durch den Einsatz christliche Truppen. Schon 1684 hatten es die Kaiserlichen berannt, allerdings ohne Erfolg. Jetzt aber besiegelten Herzog Karl von Lothringen und Kurfürst Max Emanuel von Bayern durch geschickte Belagerungstaktik das Schicksal der Stadt und ihrer türkischen Besatzer. Tagelanger Beschuß, ein gewaltiges Feuer und die hemmungslosen Plünderungen ließen von der einstmals glänzenden Donaumetropole nur ein rauchendes Trümmerfeld zurück, in dem über 3000 Menschen den Tod fanden. Ein beispielloses Bombardement hatte die Verteidigungskraft der Festung zermürbt. Die Angreifer schossen „aus ihren Batterien und Kesseln mit Stuecken / die mit gluehenden Kohlen geladen / wie auch mit Bomben so erschroecklich..., daß ein Ueberlaufler bekennet / sie konnten sich in der Stadt nicht anders einbilden / als daß Lucifer selbst vor solchem Thor liegen muesste.“ (1) Die Rückeroberung des „Schlüssels“ gestaltete sich zu einem, wenn nicht zu dem, bedeutenden weltpolitischen und militärischen Ereignis des Jahres 1686 mit imenser ideologischer Tragweite. Kaiser Leopold I., seit 1655 König von Ungarn, konnte erstmals den Fuß nach Ofen setzen, wenn auch nur auf die Trümmer der untergegangenen Stadt. Bringt man die eindeutigen Bezüge des Darmstädter Spielbretts zum Türkenkrieg, den Fall der Festung Ofen und die intarsierte Jahreszahl 1686 in Zusammenhang, scheint die Darstellung des römischen Imperators Cäsar, als den man die Feldherrenfigur der Schauseite deuten muß, auf den ersten Blick deplaziert. Bei näherer Betrachtung erschließt sich jedoch das Frontbild als Allegorie auf die „geschichtliche Größe“ des Hauses Habsburg. Dem Egerer Meister diente ein graphisches Blatt Antonio Tempestas oder der leicht abgewandelte Nachstich Matthäus Merians d. Ä. als Vorlage, der er ausgesprochen detailliert folgte. Eine kleine, aber bedeutungsvolle Abweichung unterscheidet den Darmstädter Cäsar jedoch vom Merianschen Vorbild: er trägt einen kräftigen Schnurbart. Hier kann nur eine zeitgenössische Person gemeint sein, die sich in der Tradition des römischen Heerführers sah. Sucht man nach möglichen Kandidaten, fällt vor allem Kaiser Leopold I. in die engere Wahl. Das Habsburgische Kaiserreich, das sich so gern in der Nachfolge des römischen Weltreiches sah und sein Haus bis zu den Juliern herabsteigen sah, wurde in der bildenden Kunst des öfteren auf allegorische Weise mit Julius Cäsars Imperium verglichen. Eine Vielzahl zeitgenössischer graphischer Blätter schildern ihn mit jenem charakteristischen Bart. Daß auch die Schauseite des Darmstädter Spiels im Zusammenhang mit der Türkenproblematik zu sehen und somit ein einheitliches Bildprogramm bei der Anfertigung angestrebt worden ist, wurde darzustellen versucht. Ungeklärt ist hingegen ein mehrfaches Auftreten der gekreuzten Kurschwerter am Trictracplan, das in Richtung Sachsen verweist. Der seit 1680 regierende Kurfürst Johann Georg III. (1647-1691) zählte trotz schwelender Zwistigkeiten zu den wichtigsten Verbündeten des Kaisers im Kampf gegen die Türken. Dem Großen Kurfürsten nacheifernd und den Erfordernissen der Zeit Rechnung tragend hatte Johann Georg III. 1682 in Sachsen ein stehendes Heer aufgebaut. In Eilmärschen durch Mähren war der „Sächsische Mars“, wie ihn Zeitgenossen schmeichelnd wegen seines militärischen Draufgängertums nannten, dem Kaiser 1683 mit etwa 10 000 Soldaten zu Hilfe gekommen, als Festung und Residenzstadt Wien dem Umklammerungsdruck der türkischen Armee zu unterliegen drohten. Nicht unwesentlich trugen die Sachsen bei der Zerschlagung des riesigen Heeres bei, das der Sultan aufgeboten hatte. Sächsische Kämpfer drangen als erste in die osmanische Zeltburg ein und hißten die Fahne des Mars Saxonicus. Auch im Schicksalsjahr 1686 kam es zu sächsischer Unterstützung im Kampf gegen den Halbmond. Für 30 0000 Gulden Subsidiengelder stellte Johann Georg III. dem Kaiser 4700 sächsische Soldaten zur Verfügung, diesmal allerdings ohne seine persönliche Führung. Das Ziel des von Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels befehligten Kontigents war kein anderes als die Festung Ofen. Bedenkt man diese und weitere sächsische Hilfeleistungen für Leopold I., könnte es sich beim Darmstädter Spiel durchaus um ein Geschenk des Kaisers nach Kursachsen handeln, ohne daß man den Empfänger benennen kann. Auf eine stilistisch relevante Fährte führt ein besonderes Merkmal des Darmstädter Spiels hin: Der breite schwarze Rahmen des Trictracplanes ist mit arabesken Formen geschmückt, die zwei klingenkreuzende Löwen einschließen. Die Arabesken entstanden, indem man die Zwischenräume der aufgezeichneten Ornamente durch feine Punktpunzierung vollkommen ausfüllte, so daß die eigentlichen Zierelemente glatt und etwas erhaben auf dem aufgerauhten Fond stehen. Diese aufwendige Schmucktechnik begegnet an vielen Objekten, die alle in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts entstanden. An erster Stelle sei auf das Brettspiel der Sammlung Dr. Boehlen verwiesen, an dem man die ebonisierten Rahmen mit Arabesken und Trophäengruppen ausgeziert hat. Der große Kabinettschrank im Bayrischen Nationalmuseum in München verwendet wie in Darmstadt florale Motive, so auch ein Kabinettschrankfragment mit Darstellung des Evangelisten Johannes im Steiermärkischen Landesmuseum Joanneum in Graz, das ursprünglich als Mittelgelaßtür eines Kabinettschrankes diente. Diese und weitere Stücke, wie ein mit dem Münchner Kabinett eng zu verknüpfendes Möbel im südböhmischen Rosenberg, das oben erwähnte Brettspiel aus Nostizschem Besitz, ein zweites im Krakauer Wawel, ein drittes im Historischen Museum Regensburg und ein im Zweiten Weltkrieg verschollenes Kabinett des Kunstgewerbemuseums Berlin machen deutlich, daß hinter dem Bilderschneider eine Werkstatt von durchaus respektabler Größe zu stehen scheint. Stilistisch deuten alle Merkmale auf Johann Karl Haberstumpf, einen der letzten großen Meister der Egerer Intarsienkunst. ANMERKUNGEN LITERATUR ALL COPYRIGHTS |
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